Das Interview mit Nicole Endruschat – Bundesstützpunkt-Trainerin Schwimmen aus Essen  

Bekomme einen Einblick in die persönlichen Werkzeuge von Nicole

Name: Nicole Endruschat – Bundesstützpunkt-Trainerin Schwimmen aus Essen   

Sportart: Schwimmen

Thema Wettkampfvorbereitung:

Sebastian: „Wie bereitest du dich am Tag vor dem Wettkampf vor? Was machst du für dich und warum?“

Nicole: „Ich gehe meiner üblichen Morgenroutine nach und versuche, mir ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um mich darauf vorzubereiten, was an dem Tag so ansteht.“

Sebastian: „Darf ich vielleicht fragen, wie diese Routine am Morgen aussieht? Und wie gestaltest du den Tag sonst so? Gibt es etwas bestimmtes, was du am Abend vor dem WK machst?“

Nicole: „Ich trinke ein großes Glas Wasser (wenn möglich mit Zitrone), überlege mir, worauf ich mich an diesem Tag freue oder wofür ich dankbar bin, und wenn ich früh genug aufgestanden bin, folgen dann noch ein paar Minuten Meditation oder ein paar Yoga-Übungen. Diese Routine ist erst mal unabhängig vom Wettkampf und ich versuche sie auch bei Wettkämpfen beizubehalten. Der Abend vor dem Wettkampf ist meistens geprägt durch Organisatorisches (welcher Sportler ist um welche Uhrzeit in der Halle, geht wann zum Einschwimmen etc). Wenn alles steht, nehme ich mir noch Zeit für Privates (Telefonate, Lesen o. ä.).“

Sebastian: „Wie bereitest du dich am Tag des Wettkampfs auf den Start vor? Was machst du für dich und warum?“

Nicole: „In der Regel stehen an den Wettkampftagen ja mehrere Starts von verschiedenen Athleten an. Die grundsätzliche Vorbereitung besteht vor allem darin, sich der zeitlichen Abläufe bewusst zu werden und dann mit den Sportlern abzusprechen, wann sie mich in der Startvorbereitung brauchen und wie die Erwartungen aneinander aussehen.“

Sebastian: „Darf ich fragen, wie solche Erwartungen aussehen? Was braucht ein Sportler vor einem Start von dir? Ohne Namen natürlich :-).“

Nicole: „Das ist ganz unterschiedlich: Einige Sportler wollen sehr eng begleitet werden vom Betreten der Halle bis unmittelbar vor ihrem Rennen (z. B. möchten sie mich beim Einschwimmen am Beckenrand haben, um nochmal ein Feedback zu bekommen), andere brauchen mehr Ruhe für sich allein und wollen nur nochmal ein paar aufmunternde Worte oder ein kurzes Abklatschen vor dem Rennen. Manche wollen noch ein bisschen „heiß gemacht werden“, andere eher beruhigt.“

Sebastian: „Und darf ich fragen, wie du den Tag selbst für dich gestaltest bis zum Start? Gibt es da was Systematisches?“

Nicole: „Da bleibt meist nicht viel Zeit. Ab dem Moment, wo wir die Halle betreten, bin ich meistens nur noch für die Sportler da. Das hängt aber auch davon ab, ob schon viele Athleten morgens mit mir in die Halle kommen. Manchmal, wenn die meisten erst später dran sind, hat man noch Zeit für einen Kaffee und ein paar Gespräche mit Trainerkollegen in der Schwimmhalle.“

Sebastian: „Was machst du die letzten Minuten, um dich auf den Wettkampf vorzubereiten? Was genau machst du bewusst oder unbewusst, um dich so richtig auf den Wettkampf einzustellen? Nutzt du bestimmte mentale Werkzeuge, Verhaltensweisen oder Vorgehen?“

Nicole: „Ich benutze keine speziellen Techniken oder Methoden. In den letzten Minuten geht es um die Athleten, eine spezielle Vorbereitung für mich selbst gibt es da nicht. Höchstens noch mal tief durchatmen, bevor dann der jeweilige Start des Rennens erfolgt.“

Thema Motivation:

Sebastian: „Was sind deine Ziele als Trainerin? Was motiviert dich, damit du die Mühen aufnimmst?“

Nicole: „Ziel ist immer die individuelle Weiterentwicklung jedes einzelnen Athleten, sowohl hinsichtlich der sportlichen Leistung als auch der Persönlichkeitsentwicklung.“

Sebastian: „Darf ich dich fragen, wieso dir das wichtig ist?“

Nicole: „Weil ich finde, dass das grundsätzlich zu meiner Aufgabe als Trainerin gehört. Mir werden junge Menschen anvertraut, für die ich eine Verantwortung empfinde. Außerdem kann sich die sportliche Leistung nur bestmöglich entwickeln, wenn ich den gesamten Menschen im Auge habe.“

Sebastian: „Wen würdest du gerne mal trainieren?“                      

Nicole: „Keine speziellen Wünsche, jeder Sportler hat seinen eigenen Reiz.“

Sebastian: „Was machst du, wenn du vor einem Training mal keine Motivation hast?“

Nicole: „Ich mache mir die Ziele noch mal bewusst, dann kommt die Motivation von allein wieder.“

Sebastian: „Wie machst du das dann? Im Kopf oder hast du die irgendwo aufschrieben?“

Nicole: „Sowohl als auch. Ich bespreche regelmäßig mit den Athleten deren individuelle Ziele und auch, wie wir die gemeinsam erreichen wollen, also wie der Weg dorthin aussieht. Das wird dann auch schriftlich festgehalten, aber in der Regel hat man die Ziele auch im Kopf.“

Sebastian: „Wie gehst du da mit dir um?“

Nicole: „Ich mache mir klar, dass es normal ist, dass externe Stressoren vorübergehend die Motivation negativ beeinflussen können. Ich schaue dann, ob ich in irgendeiner Form Entlastung finden kann, um mich wieder besser auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Außerdem können Gespräche mit Kollegen helfen und auch das bewusste Planen einer privaten Freizeitaktivität, auf die man sich freuen kann. Sollte ich mal längerfristig ein Motivationsproblem haben, würde ich mich mit der Frage beschäftigen, ob ich eine berufliche Veränderung brauche.“

Sebastian: „Danke für die Antwort. Dies ist so wertvoll für junge TrainerInnen.“

Thema Persönlich:

Sebastian: „Was würdest du deinem 14-jährigen Ich für einen Tipp geben, den du damals hättest gebrauchen können?“

Nicole: „Beschäftige dich nicht zu viel mit Dingen, die du nicht ändern kannst und konzentriere dich immer auf die Lösungsmöglichkeiten statt auf das Problem.“

Sebastian: „Ein guter Rat. Wann war der Punkt als du dich für den Leistungssport bzw. für eine professionelle Karriere entschieden hast? Was war der Auslöser bzw. Grund?“

Nicole: „Für eine professionelle Trainerkarriere habe ich mich entschieden, als sich mir die Möglichkeit dazu bot. Bis dahin hatte ich immer nebenberuflich als Trainerin gearbeitet und wollte beruflich einen anderen Weg einschlagen, aber als sich mir die Chance für einen Einstieg in das Berufsfeld TrainerIn bot, war mir direkt klar, dass ich den Weg gehen möchte.“

Sebastian: „Darf ich fragen, was für dich der ausschlaggebende Punkt war?“

Nicole: „Als sich mir die Chance bot, habe ich mich entschieden es einfach auszuprobieren. Ausschlaggebend war dann, wie viel Spaß und Erfüllung mir die Arbeit dann gegeben hat.“

Sebastian: „Was machst du morgens, um gut in einen Tag zu starten?“

Nicole: „Ein Glas Wasser mit Zitrone trinken, mir ein paar Minuten Zeit nehmen, um den Tag kurz gedanklich durchzugehen und ansonsten, abhängig von der Uhrzeit, manchmal noch ein paar Yogaübungen und einen Tee oder Kaffee trinken (am liebsten auf der Terrasse, wenn das Wetter es zulässt).“

Sebastian: „Welcher Spruch, Buch oder Mensch hat dich am meisten beeinflusst auf deinem Weg?“   

Nicole: „Kein einzelner Spruch oder Mensch, sondern eher die Summe aus vielen Büchern und Begegnungen und Gesprächen. Es gibt viele Menschen, die mich inspirieren und damit sicherlich auch prägen.“

Sebastian: „Wie suchst du dir deinen Ausgleich zum Sport? War das immer so oder hat sich das im Laufe der Zeit verändert?“

Nicole: „Freunde und Familie, Lesen, Reisen und eigener Sport. Die Bedeutung eines Ausgleichs wurde mir im Laufe der Jahre immer mehr bewusst, trotzdem gibt es „gute und schlechte Phasen“, also es gelingt mir mal besser und mal schlechter, mir die Zeit dafür zu nehmen bzw. den ausgleichenden Aktivitäten in meinem Leben genug Priorität zuzuordnen.“

Thema Fokus:

Sebastian: „Wodurch verlierst du den Fokus im Wettkampf oder Training? Fehlversuch eines Athleten, Schiedsrichterentscheidung…?“

Nicole: „Im Wettkampf passiert mir das eigentlich nicht, im Training vor allem durch zu viele Aufgaben, die noch auf mich warten und als unerledigt in meinem Kopf herumschwirren oder Themen, die gerade für Aufregung sorgen.“

Sebastian: „Wie findest du dann wieder den Fokus? Gibt es ein Werkzeug, ein Verhalten oder ein Vorgehen, dass du da nutzt?“

Nicole: „Gedankenstopp. Ggfs. Aufgaben kurz notieren oder als Erinnerung im Handy abspeichern und dann wieder aufs Training konzentrieren.“

Sebastian: „Darf ich fragen, wie du die Gedanken stoppst? Das ist eine spannende und wertvolle Technik und wertvoll für viele Leser!“

Nicole: „Mit Self-Talk. Wenn ich merke, dass ich den Fokus verliere, gebe ich mir kurze Selbst-Anweisungen wie „Stopp!“, „Fokus auf das Wesentliche!“ o. ä. Meistens erscheint dann inzwischen auch ein Stoppschild (wie im Straßenverkehr) vor meinen Augen. Wenn ich mich zu sehr mit unerledigten Aufgaben beschäftigt habe, dann hilft es danach aber vor allem, diese To dos noch zu notieren, damit ich sie aus dem Kopf bekomme und weiß, dass ich sie später wieder aus der Schublade holen kann, ohne dass sie während des Trainings noch ‘Speicherplatz auf meiner Festplatte‘ beanspruchen.“

Thema nach dem Wettkampf:

Sebastian: „Was machst du direkt nach dem Wettkampf? Wie bereitest du einen Wettkampf nach?“

Nicole: „Oft spreche ich noch mit Kollegen über den Wettkampf oder gehe für mich alleine nochmal die Rennen und die Ergebnisse durch. Danach versuche ich mich bewusst mit etwas anderem zu beschäftigen, aber das gelingt selten gut. Die erste Nacht nach wichtigen Wettkämpfen ist meistens sehr unruhig.“

Sebastian: „Wie lange denkst du noch an einen Wettkampf, nachdem er vorbei ist?“

Nicole: „Das hängt extrem von der Bedeutung des Wettkampfes ab (Meisterschaft? National oder international?) und davon, welche Konsequenzen damit verbunden sind, also ging es „nur“ um Erkenntnisse für die weitere Trainingsgestaltung oder auch zum Beispiel um eine Qualifikation für weitere Events? Und von der Bewertung, also davon, wie der Wettkampf lief und ob man den Weg weiter wie geplant verfolgen kann oder es Bedarf gibt, Dinge in der Trainingssteuerung zu verändern.“

Sebastian: „Wie gehst du mit einer Niederlage/schlechten Wettkampf um? Gibt es etwas Systematisches?“

Nicole: „Analyse, Gespräche mit den Experten um mich herum, Gespräche mit den Athleten, Planung des weiteren Vorgehens. Im privaten Bereich der Versuch, etwas Abstand zu gewinnen und keine negativen Emotionen mit ins Privatleben zu nehmen.“

Sebastian: „Wie gehst du mit einem Sieg/ guten Wettkampf um? Gibt es hier etwas Systematisches?“

Nicole: „Analyse, Gespräche mit den Experten um mich herum, Gespräche mit den Athleten, Planung des weiteren Vorgehens. Der gute Vorsatz, die positiven Emotionen auch zu genießen ;-).“

Thema Leadership:

Sebastian: „Wie gehst du mit Fehlern von Athleten um? Hat sich dieser Umgang bei dir über die Jahre verändert?“

Nicole: „Ich spreche sie an, warte aber auf den richtigen Moment, in dem ich das Gefühl habe, dass der Athlet auch in der Lage ist, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ich glaube, dass ich das von Anfang an so gemacht habe. Da ich aber davon ausgehe, dass ich mich im Laufe meiner vielen Jahre als Trainerin insgesamt durchaus verändert habe, kann ich nicht ausschließen, dass ich auch in dem Punkt noch dazugelernt habe und vielleicht inzwischen besser einschätzen kann, wann der Moment ist, in dem der Athlet am aufnahmefähigsten für die Kritik ist. Wenn es um Technikkorrekturen geht, ist es aber natürlich wichtig, das Feedback möglichst zeitnah zu geben.“  

Sebastian: „Was ist das Erste, was du machst, wenn du eine Mannschaft/ einen Sportler übernimmst?“

Nicole: „Die Erwartungen in beide Richtungen abklären, also was erwarte ich von den Sportlern, aber auch: Was erwarten sie von mir?“

Sebastian: „Darf ich fragen, was deine Erwartungen sind?“

Nicole: „Das wird zum Teil in der nächsten Frage beantwortet. Ich erwarte auf jeden Fall Ehrlichkeit (mir gegenüber, aber auch sich selbst gegenüber, Offenheit gegenüber den Trainingsmethoden, Vertrauen (das aber in der Regel  wachsen muss), Respekt, Kommunikation und absolutes Commitment.“

Sebastian: „Worauf legst du besonderen Wert bei der Beziehung zu einer Mannschaft/einem Sportler?“

Nicole: „Vertrauen, Offenheit, Ehrlichkeit.“

Sebastian: „Was tust du, damit dein Athlet 100 % gibt?“

Nicole: „Motivation muss in meinen Augen immer intrinsisch sein. Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, den Athleten zu motivieren. Ich versuche aber immer wieder, die Ziele bewusst zu machen und ggfs. neue Ziele oder Zwischenziele zu erarbeiten. Außerdem halte ich es für wichtig, immer den gesamten Menschen und nicht nur die Rolle des Sportlers im Blick zu behalten. Wenn es in irgendeinem Lebensbereich (z. B. Schule, Freunde, Familie) Probleme gibt, hat das immer auch Einfluss auf die sportliche Leistung. Darüber hinaus hoffe ich, den Athleten vorzuleben, dass ich selber 100 % für ihren Sport und für sie gebe.“

Sebastian: „Ich finde deine Sicht sehr wertvoll, dass SportlerInnen als Ganzes betrachtet werden sollten. Wie bereitest du ein Feedback an einen Sportler im Training oder Wettkampf vor? Ist das spontan oder durchdacht? Wie gehst du vor?“

Nicole: „Es gibt  unterschiedliche Arten von Feedback. Einiges kommt direkt und in Form von Zeiten. Da gibt es nichts vorzubereiten und es erfolgt auch in der Regel unmittelbar nach Erbringung der Leistung. Technische Hinweise erfolgen auch in der Situation selbst, immer konstruktiv. Geplante und vorbereitete Feedbackgespräche sind im Jahresverlauf zu bestimmten Saisonzeitpunkten vorgesehen. Spontanes Feedback erfolgt oft in der Situation direkt, wenn es positiv ist, und eher in einem „ruhigen Moment“ außerhalb der Trainingssituation, wenn es negativ ist (dann eher im 4-Augen Gespräch).“

Sebastian: „Du sagst, dass Hinweise konstruktiv gegeben werden. Kannst du mir näher beschreiben, wann aus deiner Sicht ein Hinweis konstruktiv ist? Und wann wäre er destruktiv?“

Nicole: „Konstruktiv ist für mich immer lösungsorientiert. Also nicht (oder zumindest nicht nur) den Fehler benennen, sondern direkt den Hinweis geben, wie es stattdessen ausgeführt werden sollte, oder was der Athlet ausprobieren kann, um einen besseren Weg zur „Problemlösung“ zu finden. Manchmal in Form von Fragen, ansonsten Anweisungen einfach immer positiv formuliert (z. B. „Halt den Arm länger gestreckt!“ anstelle von „Nicht so früh beugen!“).“

Sebastian: „Wie wichtig ist dir Feedback durch deine Sportler? Wie holst du es gegebenenfalls ein?“

Nicole: „Sehr wichtig. Ich versuche von vornherein eine Kultur zu entwickeln, in der die Athleten wissen, dass mir ihr Feedback wichtig ist und sie es unaufgefordert geben, ansonsten suche ich das Gespräch mit ihnen, um es einzuholen.“

Sebastian: „Wow, danke für die ehrlichen Einblicke!“

Wichtiger Hinweis: Die Teilnahme des Gasts an der Sport-Runde lässt keine Rückschlüsse darüber zu, ob eine sportpsychologische Zusammenarbeit mit Sebastian Altfeld besteht. Es ist lediglich ein Zeichen dafür, dass der*die Sportler*in/Trainer*in die dankenswerte Bereitschaft zeigt, die eigenen Ansichten und Ansätze zu teilen. 

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