Ein Interview zum Thema „Helikoptereltern“ im Sport
Dieser Artikel wurde aus einem Originalinterview übernommen. Somit enthält er noch die ursprünglichen Fragen und meine Antworten. Ich hoffe, er enthält wertvolle Informationen.
- Was sind aus Ihrer Sicht Helikoptereltern?
Sebastian: Wenn wir über Helikoptereltern sprechen, sprechen wir ja primär über Eltern, die von außen als zu kümmernd, zu beschützend oder zu vorsichtig wahrgenommen werden. Das heißt, dass hier eine Bewertung einer außenstehenden Person mitreinspielt. Deswegen finde ich den Begriff eher schwierig. Dennoch kann man objektiv festhalten, dass es Verhaltensweisen von Eltern gibt, die für die Entwicklung von bestimmten, hilfreichen Eigenschaften wie autonomes Handeln, Willensstärke, Konflikt-(Kritik-)fähigkeit und auch Selbstbewusstsein weniger hilfreich sind. Man kann sagen, dass es dann überfürsorglich ist, wenn dadurch die Entwicklung des Kindes zum Erwachsen werden tatsächlich beeinträchtigt wird.
- Welche Ängste haben die so genannten Helikoptereltern?
Sebastian: Ich bin der Auffassung, dass zunächst alle Eltern versuchen mit ihrem Verhalten das Beste für ihr Kind zu erreichen. Unabhängig, ob das Verhalten letztendlich hilfreich oder eher nicht hilfreich ist. Die häufigsten Beweggründe für überfürsorgliches Verhalten, so stelle ich es in meiner Arbeit fest, sind die Befürchtungen, dass das Kind schlechtere Ausgangsbedingungen für die positive Entwicklung erhalten könnte oder das Kind überfordert wird und dadurch, die positive Entwicklung gestört wird. Auf den ersten Blick sind das ja ganz lobenswerte Beweggründe von Eltern. Die zwei Fragen, die sich mir dabei aber stellen sind zum Einen, ob ein Kind durchweg perfekte Rahmenbedingungen braucht, um sich gut zu entwickeln? Und zum Anderen, was ein Kind dadurch für wichtige Eigenschaften nicht lernt, wenn die Umgebung und Erfahrungen immer perfekt und nicht manchmal überfordernd sind. Gerade im Sport ist es eine wichtige Fähigkeit, mit Unsicherheit umgehen und diese aushalten zu können. Wenn Sie vor einem Wettkampf Spitzensportler fragen würden, wer sich zu 100% sicher fühlt, werden sie selten die Antwort bekommen „Klar, absolut und die ganze Zeit durchgängig“. Daher sollte immer im Auge behalten werden, was eigentlich die Aufgabe von Eltern ist. Und zwar das Kind dabei zu unterstützen, Werte, Eigenschaften und Fähigkeiten zu entwickeln, die dabei helfen, auf lange Sicht gesund und glücklich erwachsen zu werden. Und dazu mögen auch Fähigkeiten gehören wie beispielsweise mit Unsicherheit umgehen zu können.
- Werden Helikoptereltern zunehmend ein Problem auf den heimischen Sportplätzen?
Sebastian: Das ist eine gute Frage. Tatsächlich gibt es meines Wissens dazu keine wissenschaftlichen Zahlen derzeit. Mein persönliches Empfinden wäre eher ja, wenn ich mich zu diesem Thema mit Trainern, Lehrern und Eltern unterhalte, aber ich habe dazu keine Vergleichswerte. Was aber die Gespräche gemeinsam haben ist jedoch, dass überfürsorgliches Verhalten von Eltern Konfliktpotential birgt. Es treffen hier nämlich unterschiedliche Strategien aufeinander, die jeweils das Beste für das Kind wollen. Trainer und Lehrer möchten das Kind optimalerweise fordern, damit es wichtige Eigenschaften entwickelt und Eltern möchten vielleicht in diesem Beispiel verhindern, dass das Kind überfordert wird. Es gibt tatsächlich auch das andere Extrem. Beides wird vor allem dann zu einer Zwickmühle, wenn beide Parteien nicht in der Lage sind, zusammen zu besprechen, was der jeweils Andere damit beim Kind erreichen möchte und ein gemeinsamer Weg gefunden wird. Stattdessen werden Schuldzuweisungen oder Forderungen gestellt, die die andere Partei nicht erfüllen kann oder möchte.
- Was sind absolute No-Go‘s für Eltern am Spielfeldrand?
Sebastian: Eltern sollten sich klar machen, dass wir uns immer mitteilen. Auch wenn wir nichts sagen, transportieren wir mit unserem Verhalten eine Message. Und demnach sollte ich mir klar machen, ob ich diese Botschaft an mein Kind weitergeben möchte. Wenn ich also beispielsweise meinem Kind zeigen möchte, wie engagiert ich bin und Schiedsrichter, Trainer oder andere Spieler angreife, gebe ich meinem Kind möglicherweise aber auch die Botschaft mit „Du darfst andere Menschen anbrüllen oder beleidigen, wenn diese nicht deiner Meinung sind“. Möchte ich, dass mein Kind diese Sichtweise übernimmt? Zudem passt diese Botschaft nicht zum Gedanken des Jugendsports, bei dem es in erster Linie darum geht, Respekt im Umgang miteinander und den Spaß am Sport aufzubauen. Demnach sind die Verhaltensweisen No-Go’s ,die dem Motto und Ziel des Sports widersprechen. Darüber hinaus sind meiner Meinung nach Verhaltensweisen zu vermeiden, die das eigene Kind oder andere Kinder darin blockieren, wertvolle und wichtige Eigenschaften zu entwickeln. Denn Sport ist ein tolles Übungsfeld, um genau solche Eigenschaften zu lernen und zu üben. So könnte natürlich das Elternteil zum Trainer gehen und sich über die Spielzeit des Kindes aufregen. Aber ich könnte diese Chance auch nutzen und mit meinem Kind zusammen überlegen, wie mit diesem Problem altersgerecht umgegangen werden kann. So könnte eine mögliche Lösung sein, dass ich das Kind darin unterstütze den Trainer selbst anzusprechen und seine Enttäuschung über die wenige Spielzeit zu formulieren und den Trainer nach Beweggründen und Empfehlungen zu fragen. Dabei können die Eltern unterstützend im Hintergrund dabei sein, aber das Kind lernt Konflikte zu lösen.
- Was löst das überehrgeizige Verhalten der Eltern in ihren Kindern aus?
Sebastian: Zum einen kann überfürsorgliches oder zu beschützendes Verhalten von Seiten der Eltern beim Kind die Entwicklung wichtiger Fähigkeiten verhindern. Ein gesunder 12-jähriger sollte in die Lage versetzt werden, seine Tasche alleine ein und auspacken zu können. Denn mit dieser Aufgabe gehen ja Fähigkeiten einher wie planerisches, vorausschauendes Denken. Und dieses Denken ist als Erwachsener elementar. Zudem müssen wir eines bedenken. Wie entsteht Selbstvertrauen? Es entsteht zum einen dadurch, dass ich Situationen bewältige und merke, dass ich mit meinen Fähigkeiten Lösungen finden kann. Überfürsorgliches Verhalten kann demnach natürlich das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit vermitteln. Es kann aber auch dazu führen, dass das Kind nicht lernt selbst mit Schwierigkeiten zurecht zu kommen und somit nicht reflektiert „Cool, das kann ich, also ist die nächste Aufgabe auch kein Problem“. Ich weiß, dass dies ein schmaler und schwieriger Pfad für Eltern ist.
- Welche Tipps können Sie Eltern geben, damit sie sich am Spielfeldrand besser im Griff haben?
Sebastian: Ich denke, dass zu Anfang die Frage auf Seiten der Eltern geklärt sein sollte, welche Werte und Eigenschaften mein Kind lernen soll. Dann kann ich überlegen, welche Verhaltensweisen von mir dafür hilfreicher und weniger hilfreich sind, um es bei der Entwicklung zu unterstützen. Daraus ergeben sich dann manchmal die Notwendigkeiten sich als Elternteil mal zurück zu halten, denn wir Menschen lernen in erster Linie durch das Machen von Erfahrungen. Und da sehe ich gerade auch vermeintlich negative Erfahrungen wie ein schlechtes Spiel oder das Vergessen des linken Turnschuhs zum Training als wertvoll an, weil sie Gelegenheit bieten, mit dem Kind zu reflektieren. Zum Einen, was das Ereignis über mich selbst aussagt. Bin ich durch EIN schlechtes Spiel plötzlich ein schlechter Sportler oder habe ich meine Fähigkeiten verloren? Natürlich nicht. Und zum Anderen, wie man damit am besten umgehen könnte. Dabei finde ich es für Eltern elementar, immer wieder dem Kind klar zu machen, dass man das Kind lieb hat, unabhängig davon, was das Kind leistet oder mal nicht leistet. Damit ist nicht gemeint, dass man Verhaltensweisen vom Kind nicht kritisieren darf. Ganz im Gegenteil. Das Kind soll lernen, dass die Kritik an Verhalten nicht gleichbedeutend ist mit „Ich mag dich nicht mehr“.
Zudem glaube ich, dass Eltern Werkzeuge besitzen sollten, mit eigenen Emotionen gut umzugehen. Denn im wütenden Zustand nach einer Fehlentscheidung zu entscheiden, wie ich mich jetzt Verhalten möchte, ist nur schwer möglich. Eltern sollten daher mit eigenen Emotionen wie Ärger oder Angst auch umgehen lernen, um im nächsten Schritt entscheiden zu können, wie sie sich ihren Werten entsprechend verhalten möchten. So könnte eine Mutter den Impuls haben, in ein Spiel reinrufen, weil Sie Angst hat, dass das Kind sich ja schwer verletzen könnte. Hier wäre es vielleicht sinnvoll vorher nochmal 2-3 mal tief durchzuatmen, um so dann in der Lage zu sein, darüber nachdenken zu können, wie hilfreich dieser Impuls jetzt fürs Kind in dieser Situation wäre.
- Sollten unbelehrbare Eltern lieber gar nicht erst mit zu den Spielen ihrer Kinder kommen?
Sebastian: Tatsächlich ist das manchmal eine Lösung, die ich mit Eltern finde. Dies betrifft vor allem Eltern, die selbst nicht in der Lage sind, die eigenen Emotionen passend im Zaun zu halten. So kann dies eine passende Lösung sein. Dies setzt aber natürlich voraus, dass die Eltern sich im Klaren sind, welche Nachteile das eigene Verhalten beim Kind auslösen könnte. Manche Eltern merken dies schon selbst. Hier ist aber oftmals das Feingefühl von Trainern oder Lehrern gefragt, sanft auf mögliche Kosten des gezeigten Elternverhaltens beim Kind hinzuweisen. Denn letzten Endes haben alle Beteiligten optimalerweise das Wohl des Kindes im Blick.