Das Interview mit Jan Haller – Rollstuhl-Basketball-Nationalspieler und 3-facher Teilnehmer bei den Paralympics (2012, 2016 & 2021)

Bekomme einen Einblick in die persönlichen Werkzeuge von Jan

Der nächste Gast in der Sportrunde: Jan Haller – Rollstuhl-Basketball-Nationalspieler und 3-facher Teilnehmer bei den Paralympics (2012, 2016 & 2021)

Die Vorstellung von Jan findest du unter diesem Link

Alter: 34

Sportart: Rollstuhl-Basketball

Wichtiger Hinweis: Die Teilnahme des Gasts an der Sport-Runde lässt keine Rückschlüsse darüber zu, ob eine sportpsychologische Zusammenarbeit mit Sebastian Altfeld besteht. Es ist lediglich ein Zeichen dafür, dass der*die Sportler*in/Trainer*in die dankenswerte Bereitschaft zeigt, die eigenen Ansichten und Ansätze zu teilen.

Thema Wettkampfvorbereitung:

Sebastian: „Wie bereitest du dich am Tag vor dem Wettkampf vor? Was machst du für dich und warum?“

Jan: „Am Tag vor dem Wettkampf versuche ich bestmöglich darauf zu achten, dass ich vernünftig esse und ausreichend trinke. Außerdem gehört es für mich dazu, meinen Körper gut vorzubereiten und zwischen intensiver Trainingswoche und dem Spiel, die Regeneration nicht zu kurz kommen zu lassen. Zur Regeneration gehört für mich aber auch, meinen Kopf frei zu haben und meine Gedanken zu sortieren. In einer Trainingswoche kann viel passieren, der Druck vor einem Spiel kann mal mehr und mal weniger sein. Durch Meditation und Atemtechnik-Übungen versuche ich meinen Fokus zu behalten und vor allem entspannt zu bleiben.“

Sebastian: „Vielen Dank für diesen schönen Einblick. Von Meditation haben nun schon mehrere Sportler*innen gesprochen. Wie sieht das bei dir aus? Machst du das dann am Abend vor dem Schlafen gehen?

Jan: „Ich versuche mittlerweile täglich mindestens 10 Minuten zu meditieren oder verschiedene Atemtechniken anzuwenden. Eine gewisse Regelmäßigkeit hilft mir dabei, auch unter der Woche im Training konzentrierter und fokussierter zu sein. Das wirkt sich dann auch auf die Spiele aus.“

Sebastian: „Gibt es ansonsten systematische Dinge, die du am Abend vor dem Spiel unternimmst?“

Jan: „Meistens findet Freitagabend das Abschlusstraining statt, wenn wir am Samstag spielen. Im Anschluss versuche ich dann noch vernünftig zu essen, gut zu schlafen und gar nicht mehr allzu viel über das anstehende Spiel nachzudenken. Systematisch mache ich zu dem Zeitpunkt aber nichts mehr.

Sebastian: „Wie bereitest du dich am Tag des Wettkampfs auf den Start vor? Was machst du für dich und warum?“

Jan: „Am Wettkampftag selbst mache ich nicht mehr allzu viel. Eine Routine, die nahezu immer gleich abläuft, habe ich lediglich bei Heimspielen: gemütlich aufstehen, frühstücken, einen kleinen Spaziergang einlegen, kurze Meditation mit Visualisierung des anstehenden Spiels, Mittagessen, Espresso und ab Richtung Halle. Dort angekommen ziehe ich mich frühzeitig um, gehe rund 90 Minuten vor Spielbeginn auf den Court um einige Würfe zu nehmen und mich einzustimmen. Ab dann folgt der normale Ablauf mit Teambesprechung, Warmup und Spielbeginn. Vor Auswärtsspielen variiert der Ablauf natürlich immer und es kommt auf die Länge der Busfahrt und so weiter an.“

Sebastian: „Was machst du die letzten Minuten, um dich auf den Wettkampf vorzubereiten? Was genau machst du bewusst oder unbewusst, um dich so richtig auf den Wettkampf einzustellen?“

Jan: „Bewusst versuche ich immer früh vor Spielbeginn auf den Court zu gehen und bei den vielen Würfen, die ich nehme, die Würfe zu simulieren, die auch im Spiel auf mich zukommen können. Im Kopf gehe ich nochmal den Gameplan durch und versuche, mir die wichtigsten Dinge zu merken. Die letzten Minuten gehören meist der Teampräsentation, wo ich gerne die Atmosphäre in der Halle aufsauge und mich richtig in Stimmung bringe. Viele Dinge mache ich sicherlich auch unbewusst, allerdings kann ich diese so gar nicht genau benennen.“

Sebastian: „Wow. Das sind so wertvolle Einblicke. Bei deiner Erfahrung kann ich es mir kaum vorstellen, aber kommt es auch noch vor, dass du aufgeregt und nervös bist? Wie gehst du damit um?“

Jan: „Eine gewisse Aufgeregtheit und Nervosität gehören für mich vor Spielen dazu. Wenn ich die nicht habe, ist es für mich eher ein Zeichen von fehlender Anspannung, die ich aber brauche, um zu performen. Natürlich sollte diese Anspannung im Rahmen bleiben und nicht in Angst übergehen. Ich versuche das alles zuzulassen und nicht dagegen anzukämpfen. Es ist okay für mich, diese Gefühle vor einem Spiel zu spüren.“

Thema Motivation:

Sebastian: „Was machst du, wenn du im Training mal keine Motivation mehr hast?“

Jan: „Es kommt selten vor, aber im Laufe einer langen Saison ist es nicht unnormal das man auch mal ein Tief hat. Ich versuche das dann zu akzeptieren und keine große Sache daraus zu machen, sondern es als normal zu betrachten, dass man eben auch mal keinen Bock hat. Dennoch sollte die Intensität nicht darunter leiden und ich versuche dann trotzdem, wie immer, Gas zu geben. Meistens kann ich mir dadurch dann auch die Motivation und den Spaß zurückholen und trotzdem eine gute Einheit draus machen.“

Sebastian: „Wie gehst du da mit dir um, wenn du im Training mal keine Motivation mehr hast?“

Jan: „Manchmal bin ich frustriert und lasse das dann blöderweise auch etwas raushängen. Ich würde sagen, dass das aber wirklich nicht oft vorkommt und ich mir der Situation dann auch schnell bewusstwerde. Dann versuche ich gegenzusteuern und das Beste aus dem Training zu machen.“

Thema Persönlich:

Sebastian: „Was würdest du deinem 14-jährigen Ich für einen Tipp geben, den du damals hättest gebrauchen können?“

Jan: „Konzentriere dich mal mehr auf die Schule, sei organisierter und mache dir keinen Kopf, alles wird gut J!“

Sebastian: „Konzentriere dich mehr auf Schule.’ Das lese ich auch oft hier…aber auch den Punkt ‚Mach dir keinen Kopf‘. Was würdest du dem kleinen Jan hier konkret sagen, worum er sich keinen Kopf machen soll und wieso?“

Jan: „Der kleine 14-jährige Jan war vielleicht etwas unsicher und wusste zu dem Zeitpunkt nicht, wohin ihn der Sport einmal bringen würde. Er hatte den Traum Profisportler zu werden, aber wirklich daran geglaubt hat er damals nicht. Ich würde ihm sagen, dass er sich bereits auf dem richtigen Weg befindet und er einfach weitermachen soll. Der Basketball wird sein Leben in ein paar Jahren komplett prägen.“

Sebastian: „Wann war der Punkt als du dich für den Leistungssport bzw. für eine professionelle Karriere entschieden hast?“

Jan: „Für den Leistungssport entschieden habe ich mich, als ich 2007 in die 1. Bundesliga zum ASV Bonn gewechselt bin. Dort habe ich mein Trainingspensum deutlich gesteigert. Professionell wurde es dann mit meinem Wechsel zum RSV Lahn-Dill im Jahr 2011, wo ich zum einen mehr und zum anderen auf einem noch höheren Level trainiert und gespielt habe.“

Sebastian: „Was machst du morgens, um gut in einen Tag zu starten?“

Jan: „Morgens habe ich gerne Zeit. Ich stehe lieber früher auf und habe Zeit in Ruhe einen Kaffee zu trinken und zu frühstücken, als dass ich alles gestresst machen muss und nur die Uhr im Blick habe. Diese Zeit nehme ich mir fast immer und das ist für mich der Schlüssel, um gut in den Tag zu kommen.

Sebastian: „Welcher Spruch, Buch oder Mensch hat dich am meisten beeinflusst auf deinem Weg?“

Jan: „Meine Eltern haben einen sehr großen Anteil daran, dass ich der Mensch und auch der Sportler geworden bin, der ich heute bin.

Sebastian: „Darf ich stellvertretend für andere Sportler*innen-Eltern fragen, was sie Wertvolles getan oder vielleicht auch was wertvoll war, dass sie es nicht getan haben?“

Jan: „Sie haben mich in jungen Jahren schon sehr dabei unterstützt, dass ich den Sport so ausüben konnte. Ich wurde von ihnen unzählige Male zu Turnieren und Spielen gefahren oder zum Training. Das Wertvollste was meine Eltern getan haben, war mir frühzeitig zu signalisieren, dass meine körperliche Behinderung keine Ausrede für irgendwas ist im Leben. Ich bin sehr behütet aufgewachsen, aber wenn sie gemerkt haben, dass ich irgendwas nicht machen wollte, weil ich ja im Rollstuhl sitze, haben sie mir das nicht durchgehen lassen. Dies hat mir insbesondere geholfen als ich älter wurde, weil ich schon früh gelernt habe, trotz des Rollstuhls eigene Lösungen für verschiedene Herausforderungen im Leben zu finden. Außerdem bin ich ihnen bis heute dankbar, dass sie dafür gekämpft haben, dass ich auf eine normale Schule gehen konnte. Damit war ich sofort in die Gesellschaft integriert und durfte ganz normal aufwachsen.“

Sebastian: „Was machst du in deiner Freizeit, wenn du kein Training/ Wettkampf hast? Warum machst du das? War das schon immer so?“

Jan: „Mein Alltag sieht nicht so spektakulär aus… ;).Zuhause genieße ich viel Ruhe, zocke auch gern mal an der PlayStation um etwas abzuschalten und schaue Serien oder ganz viel Sport im TV. Wir haben außerdem seit zwei Jahren einen Hund, der auch öfter mal raus muss. Also gehören Spaziergänge auch seit einiger Zeit zum Alltag.“

Sebastian: „War das schon immer so?“

Jan: „Bis auf den Hund, ja… :)“

Thema Misserfolg:

Sebastian: „Wodurch verlierst du den Fokus im Wettkampf oder Training? Fehlversuch, Schiedsrichterentscheidung…?“

Jan: „Ich lasse mich leider doch öfters durch Schiedsrichterentscheidungen aus der Ruhe bringen als ich das möchte. Aber ich arbeite dran J.“

Sebastian: „Wie findest du nach einem Fehler oder Misserfolg wieder den Fokus?“

Jan: „Ich versuche einfach nach vorne zu schauen. Den Fehler kann man nicht mehr rückgängig machen, also denke ich so gut es geht an das nächste Play.“

Sebastian: „Und wie schaffst du das? Wie sieht der Prozess auf dem Feld dann aus?“

Jan: „Früher haben mich Fehlwürfe, vor allem wenn es mal 2-3 am Stück gab, aus dem Konzept gebracht. Mittlerweile schaffe ich es durch verschiedene Werkzeuge, schnell den Fokus auf das Hier und Jetzt zu richten. Ich versuche dann beispielsweise den Fokus auf meine Defense zu legen oder mehr Intensität in die Kommunikation mit meinen Mitspielern zu legen. Einfach präsenter zu werden und nicht über das, was in der Vergangenheit war zu grübeln.“

Sebastian: „Was bedeutet für dich ein Fehler oder Rückschlag im Training oder Wettkampf? Gibt es Unterschiede zwischen Training und Wettkampf?“

Jan: „Ein großer Fehler im Spiel hat definitiv eine höhere Bedeutung als im Training, aber grundsätzlich gehören Fehler zum Sport und zum Leben dazu. Keiner macht das absichtlich. Fehler zu machen, bedeutet für mich in bestimmten Situationen auch mutig zu sein. Wenn ich versuche, 40 Minuten nur fokussiert darauf zu sein, keinen Fehler zu begehen, dann mache ich mehr Fehler, als wenn ich einfach frei Spiele und mich auf meinen Instinkt verlasse.“

Sebastian: „Hat sich diese Bedeutung verändert?“

Jan: „Ja. Denn es gab bei mir auch Zeiten, in denen ich viel zu viel darauf geachtet habe, keine Fehler zu machen, um z. B. eine Auswechslung zu verhindern. Im Endeffekt macht man die Fehler aber dann erst recht, weil das Selbstvertrauen ungemein darunter leidet. Ich bin froh, dass da bei mir eine große Veränderung stattgefunden hat in den letzten Jahren.“

Sebastian: „Wie konntest du das erkennen?“

Jan: „Ich war irgendwann ehrlich mit mir selbst und habe festgestellt, dass diese Angst vor Fehlern auch daher kommen könnte, dass es mir sehr wichtig war, was andere von mir denken. Wie denken wohl meine Mitspieler von mir, jetzt wo ich diesen Fehler gemacht habe? Vertraut mir der Coach jetzt noch? Aber ganz ehrlich: Das ist alles nicht relevant. Es kommt darauf an, dass man bei sich bleibt und mutigen Basketball spielt. Dann spielt man wirklich frei. Für mich ist es ein großes Zeichen von Selbstvertrauen, wenn man eigene Fehler eingestehen und akzeptieren kann. Und dann einfach weitermacht.“

Thema nach dem Wettkampf:

Sebastian: „Was machst du direkt nach dem Wettkampf? Wie bereitest du einen Wettkampf nach?“

Jan: „Bei großen Turnieren versuche ich direkt die Energiespeicher aufzufüllen, um bereit zu sein für das nächste Spiele. Sprich: Gut essen und trinken, um die Regeneration zu fördern. In der Bundesliga ist es immer unterschiedlich, aber oftmals findet noch ein Austausch mit gegnerischen Spielern an, da ich über die Jahre viele Jungs aus gemeinsamen Zeiten in Vereinen oder der Nationalmannschaft kenne. Die Nachbereitung findet meistens 1-2 Tage nach dem Spiel statt, wo ich mir intensiv das Video vom Spiel anschaue und gucke, was ich so gemacht habe und wie wir als Team gespielt haben.“

Sebastian: „Wie lange denkst du noch an einen Wettkampf nachdem er abgeschlossen ist?“

Jan: „Da kommt es ebenfalls darauf an. Siege sind schnell abgeschlossen. Nach Niederlagen brauche ich schon mindestens zwei Tage.“

Sebastian: „Wie gehst du mit einer Niederlage/ schlechten Wettkampf um? Gibt es etwas Systematisches?“

Jan: „Ich schlafe nach Niederlagen sehr schlecht. Oftmals kommen einem nochmal Situationen in den Kopf, die man im Nachhinein besser anders gemacht hätte oder die einen besonders nerven. Meistens kann ich dann erst wieder nach der ersten guten Trainingseinheit zu Beginn einer Woche wieder nach vorne schauen.“

Sebastian: „Wie gehst du mit einem Sieg/ guten Wettkampf um? Gibt es hier etwas Systematisches?“

Jan: „Ich schlafe deutlich besser… J. Nach Siegen und wenn ich selbst das Gefühl habe, einen guten Beitrag geleistet zu haben, erlaube ich mir auch richtig happy über einen Sieg und die eigene Leistung zu sein. Wenn es ein wirklich guter und wichtiger Sieg war, kann ich das auch richtig genießen.“

Thema Trainer*in:

Sebastian: „Was macht für dich eine*n gute*n Jugendtrainer*in aus?“

Jan: „Ein guter Jugendtrainer muss die Fähigkeit haben, jungen Menschen den Spaß am Sport zu vermitteln und zu erhalten und ihnen die Möglichkeit geben, sich frei zu entfalten und sich auszuprobieren. Ich denke insbesondere, wenn Jugendliche damit anfangen, einen bestimmten Sport zu betreiben, geht es vor allem darum, ob es ihnen Spaß macht. Nicht jeder fängt mit Sport an und hat sofort das Ziel, später einmal Bundesliga oder Nationalmannschaft zu spielen. Da geht es darum, den Jugendlichen einen Weg aufzuzeigen, wie man dorthin gelangen kann. Den Weg müssen sie dann aber letztlich auch selbst gehen.“

Sebastian: „Wie stellt ein* Trainer*in zu dir eine zielführende Beziehung her?“

Jan: „In dem er mir das Gefühl gibt, mir zu vertrauen, mich respektiert und ehrlich ist. Ich bin schon jemand, der das Gefühl haben muss, gebraucht zu werden und ein Teil eines funktionierenden Teams zu sein. Ehrlichkeit ist mir aber am wichtigsten. Ein weiterer Punkt ist Kommunikation. Regelmäßiges Feedback über Dinge, die man auf dem Feld macht, sei es im Training oder im Spiel, finde ich als Spieler wichtig. Muss nicht jeden Tag sein, aber das Gefühl zu haben, ob man die Dinge richtig oder falsch macht, sind mir wichtig.“

Sebastian: „Was stört dich an einem*r Trainer*in? Wodurch nimmt dir der*die Trainer*in die Motivation?“

Jan: „Fehlende Kommunikation und das Gefühl, unfair behandelt zu werden, sowie Unehrlichkeit“

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